Zentrale Bedeutung der Wärmenetze

Besondere Eigenschaften der Netze

In der Historie wurden Netze in der Regel fast ausschließlich als Verbindung von der Gewinnung bzw. Erzeugung auf der einen Seite und dem Kunden (früher oft Abnehmer) auf der anderen Seite betrachtet, mit Ressourcen ausgestattet und gemanagt. Damit wurde das Fernwärmenetz oft zu einer Residualgröße des Assetmanagements.

Die jüngere Vergangenheit hat gezeigt, dass sich dies ändern kann und wird. So ist das Stromnetz inzwischen die zentrale Wertschöpfungsstufe: sie steuert die anderen Wertschöpfungsstufen und in ihr wird Geld verdient. Die Eigenschaften, die das Netz (also die Verteilung) besonders machen und zunehmend Vorteile generieren, sind

  • die Inputflexibilität und
  • die übergreifende Steuerbarkeit.

Inputflexibilität bedeutet, dass es für die Vorsorgung(ssicherheit) und den Netzbetrieb weitgehend unerheblich ist, aus welcher Quelle die Energie kommt. Entscheidend ist nur, dass zentrale Parameter wie Spannung und Frequenz, Methangehalt und Druck oder Temperaturniveau eingehalten werden müssen. Diese Eigenschaft ermöglicht letztlich auch die Sektorkopplung.

Die übergreifende Steuerbarkeit basiert auf der Verbindung der Netze mit jedem Einspeiser, jedem Ausspeiser und jeder Netzanlage. Ihr Grad hängt dabei von der Automatisierung der Netze ab. In Zeiten der Digitalisierung wird diese allerdings mit Nachdruck vorangetrieben, um das Ziel intelligenter Netze (smart grids) zu erreichen.

Im Falle von Wärmenetzen (wie auch bei Gasnetzen) kommt noch eine weitere Eigenschaft hinzu, die insbesondere vor dem Hintergrund der Anforderungen der Energiewende und der Energiemärkte (Flexibilisierung) von Vorteil ist:

  • die Speicherfähigkeit.

Die Speicherfähigkeit resultiert aus der Variabilität der Vorlauftemperatur (innerhalb der technischen Grenzen): durch temporäre Überhöhung der Vorlauftemperatur ΔTÜ (= TVLÜ TVL) lässt sich die Kapazität des Netzes zeitlich begrenzt steigern. Damit können Wärmenetze zusätzliche, künftig gefragtere Eigenschaften bieten.

 

Besonderer Nutzen dieser Eigenschaften

Heutzutage ist die Energieversorgung – und damit auch Fernwärme und Fernwärmenetze – von vielen, anspruchsvollen Anforderungen und Entwicklungen betroffen. Stichworte sind beispielweise:

  • Dekarbonisierung,
  • Digitalisierung,
  • Dezentralisierung,
  • Flexibilisierung,
  • Energieeffizienz usw.

Der Druck, der politisch aus den Klimazielen erwächst, hat dafür gesorgt, dass nicht nur die Bedeutung des Wärmemarktes für die Energiewende (Wärmewende) endgültig in der Politik angekommen ist. Sondern auf Grund ihrer besonderen Eigenschaften rückt auch die dafür zentrale Rolle der Wärmenetze zunehmend in den Fokus:

  • Die Inputflexibilität des Wärmenetzes ermöglicht die schrittweise Umstellung aller angeschlossenen Wärmekunden (Arealversorgung) auf CO2-arme oder -freie Energien. Das bedeutet, das Wärmeversorgungsunternehmen ist einziger Ansprechpartner für Anteilseigner (oft Kommune oder Region), Stakeholder und Politik und setzt dies in Eigenverantwortung um. Im Falle der kundenbezogenen Objektversorgung hat die Politik hingegen jeden Eigentümer (und oft Wähler) einzeln als Ansprechpartner.
  • Die Speicherfähigkeit des Wärmenetzes, ggf. ergänzt durch reine Wärmespeicher, ermöglicht durch die Entkopplung von Wärmebereitstellung und Wärmebedarf einerseits die Glättung des Lastganges. Andererseits wird dadurch aber auch die Integration fluktuierender Energiequellen (z.B. Solarthermie) möglich. Über die Sektorkopplung können so ebenfalls Überschüsse aus der Stromproduktion durch Wind und Photovoltaik sinnvoll genutzt werden.

Daher sieht das ifeu im Rahmen der „Wärmewende 2015, 2030, 2050“ die Bereitstellung von Wärmeinfrastruktur als eine zentrale Handlungsoption.

Dieser längst überfällige Zuwachs an Wahrnehmung führt auch zu steigenden Erwartungen, insb. an den Beitrag zum Klimaschutz.

 

Rahmenbedingungen für Netzmaßnahmen

Allerdings sind die Rahmenbedingungen über die genannten Anforderungen hinaus heutzutage immer weniger verlässlich oder klar. Das heißt, mögliche und zu be­rücksichtigende Szenarios nehmen in Vielzahl und Vielfalt und Veränderungsgeschwindigkeit zu. In dieser Situation ist die für Maßnahmen mit hoher und langer Kapitalbindung erforderliche Planungssicherheit kaum oder nicht gegeben.

Nichtsdestotrotz haben aber gerade Wärmenetze auf Grund ihrer ersten besonderen Eigenschaft, der Inputflexibilität, in Bezug auf Szenarioabhängigkeit und Risikoposition in diesem Zusammenhang Vorteile gegenüber anderen Wertschöpfungsstufen: In der aktuellen Situation stellt jede Entscheidung für eine Erzeugungsanlage eine durchaus riskante Wette auf die zukünftigen Rahmenbedingungen (Kohleausstieg, CO2-Preis, KWK-Förderung, Brennstoffverfügbarkeit usw.) dar. Auf Grund der Inputflexibilität des Wärmenetzes besteht für Netzmaßnahmen eine deutlich geringere Szenarioabhängigkeit und damit ein viel geringeres Risiko. Das bedeutet eine höhere Zukunftssicherheit des Netzes im Vergleich zu einzelnen Erzeugungsanlagen.

Demzufolge implizieren nicht nur die wachsende Bedeutung des Wärmenetzes und die damit verbundenen Chancen und Herausforderungen einen stärkeren Fokus des Asset­managements, sondern ebenfalls die bessere Planbarkeit und das geringere Risiko netzbezogener Maßnahmen. Und auch die Politik kann in der aktuellen, erzeugungsbezogenen Orientierungsphase diese Erkenntnisse nutzen und die Rahmenbedingungen für Wärmenetzmaßnahmen verbessern …